20. August 2014 · 5:09 pm
Kurz: Karl Ove Knausgård? Was meint IHR!?
Mega-Erfolg, sehr viel positive Presse, aber literarisch?
Hopp oder Topp?
Bin kurz vor Ende der Lektüre von Sterben noch etwas unschlüssig.

Ich möchte meinen noch etwas unentschiedenen Eindruck noch ein wenig präzisieren:
Kurz: Der Roman stellt den 39jährigen Autoren praktisch in der Gegenwart der Niederschrift vor und greift Erlebnisse auf, die bis in seine Kindheit zurückreichen. Angestoßen ist der Rückblick massgeblich vom kürzlichen Tod des Vaters und der Auseinandersetzung mit ihm. Der eigene Charakter wird ausgelotet, in Abgleichung mit den Mitgliedern der eigenen Familie und anderen Personen.
Inwieweit Knausgards Buch als Roman zu bezeichnen ist, wäre meine erste Frage. Denn, so ist zumindest der Anschein und Anspruch, in der mehrbändigen Reihe geht es nicht um gelungene und inspirierte Fiktion, sondern: um die Wahrheit- nicht mehr und nicht weniger. Der Protagonist heißt Karl Ove Knausgard, sein Vater ist: sein Vater, sein Bruder: sein Bruder und so weiter. Zeiten, Orte Ereignisse- alles ist in der realen Biographie des Autors zu finden. Also ist es ein autobiographischer Roman, könnte man sagen. Die Abgrenzung zur Biographie liegt hier im Stil, der weniger auf Fakten, Zahlen, Daten etc. und auch nicht auf unbedinge Chronologie ausgerichtet ist, als auf Eindruck, Stimmung, Reflexion.
Das ist nicht soo besonders und auffällig, sind doch einzelne Romane und umfassende Reihen mit autobiographischem Hintergrund nichts Neues. noch recht frisches Beispiel: einige neuere Romane Uwe Timms- frühere natürlich Elias Canetti oder auch Peter Weiß` Titel aus den frühen 60er Jahren: Fluchtpunkt und Abschied von den Eltern, auch mancher Peter Handke Titel kommt in den Sinn.
Bei Knausgard ist das Ziel der Expedition die Innenwelt. Bei ihm geht es, im Gegensatz zum Beispiel zu Canetti, nicht auch um die Darstellung der Aussenwelt und geschichtlicher Zusammenhänge. Kein weltgeschichtliches Ereignis wird erwähnt, keine Namen von Politikern oder ähnlichem. Natürlich gibt es einige Bands und Künstler, die dem Autoren besonders bedeutsam waren und mehr als prägende Einflüsse verwendet werden und natürlich auch Zeitgeschichte sind, aber Dinge wie der Fall der Mauer oder der Irak-Krieg etc. kommen nicht vor. Zentrum ist hier definitiv der Autor selbst.
Ich fragte ja Hopp oder Topp. Das Problem ist, das eines der massgeblichen Kriterien beim Beurteilen eines Romans hier ausfällt. Ich erwähnte es schon: Wir können nicht fragen, ob der Autor hier eine glaubwürdige und schlüssige Geschichte erfunden hat. Denn sie ist nicht erfunden– sie ist erlebt. Auf den Anspruch, dass es sich hier um nicht als die Wahrheit geht, müssen wir uns aber erst einmal einfach verlassen.
was natürlich weiterhin ebenfalls ausfällt, ist ein Element, das die moderne erzählerische Literatur seit Längerem enorm bereichert: das Spiel mit der Wahrheit. In Sterben findet sich keinerlei Fallstrick oder doppelter Boden, der daran zweifeln ließe, dass es sich hier um eine wahre Geschichte handeln könnte. Wir alle sind schon als Leser dem ein oder anderen der momentan sehr beliebten unzuverlässigen Ich-Erzähler begegnet, der seine Geschichte erzählt, wie man sie in Wirklichkeit nun einmal erzählt: komprimiert, dem jeweiligen Zuhörer angepasst und im Laufe der Zeit jedesmal ein klein wenig anders. Ein Ich-Erzähler hat immer den Vorteil, recht schnell Identifikation beim Leser zu erreichen und ihm wird immer gerne schnell geglaubt, besonders, wenn es an anderen Stimmen fehlt. Mit dieser Doppelbödigkeit -denn der, der Ich sagt, kann ja genauso gut lügen- muss der Leser moderner Romane leben und dementsprechend lesen. Oft bekommt er konkrete Hinweise, dass es mit der Aufrichtigkeit des Erzählers vielleicht doch nicht soweit her ist oder einen zweiten, dritten Erzähler an die Seite gestellt, der das bereits erfahrene relativiert. Ich nenne hier nur mal Julian Barnes als Meister dieser Methode.
Nicht so Knausgard. – Bei ihm gibt es als die Dinge und die Welt einschätzende Instanz nur: Knausgard. Aber das ist ein Konzept und bietet durchaus einen gewissen Reiz.
Was ihn sicherlich auszeichnet, ist seine ungeheure Genauigkeit in der Beschreibung: sowohl von Dingen, Orten als auch inneren Prozessen. Dabei bleibt er sprachlich an und für sich recht schlicht. Ich habe keine einzige Stelle mehrfach lesen müssen, um sie zu verstehen. Auch der Wortschatz ist einfach, aber das passt im Grunde zu seiner offenen Darstellung einer Person, die zwar Schriftsteller, aber deshalb noch lang kein Philosoph ist und der die meisten Bücher, die er gelesen hat, genau wie die Welt nur oberflächlich verstanden hat. Das schafft Sympathie und eine gewisse Augenhöhe. Allerdings habe ich mich hier und da gefragt, ob die wiederholte Schilderung, wie Jemand ein Fenster putzt oder einen Lappen über einem eimer auswringt anderen Autoren nicht als langweilig herausgestrichen worden wären. Über die Großmutter wird in recht kurzer Folge sicher 5 mal in exakt gleichem Wortlaut verkündet: „Das Leben ist ein Gampf“, sagte die Frau, denn sie konnte das K nicht sprechen. Das könnte man auch maniriert nennen, darüber hinaus bekommt es etwas Zeichenhaftes, das dem simplen Faktor Sprachfehler dort im Grunde gar nicht innewohnt. Dass Knausgard selbst unter einem solchen leidet, wird nicht ebenfalls in dieser Form in seinen eigenen Sprechpassagen wiedergegeben und sollte es ein Zeichen der generationsübergreifenden Verbindung der beiden Menschen sein sollen, dann wäre der Satz: Meine Mutter litt an dem gleichen Sprachfehler wie ich oder anders herum auch ausreichend. Aber das sind Kleinigkeiten.
Naürlich ist Knausgards Anspruch groß und lobenswert und es entsteht zugegebenermassen ein enormer Sog, wenn es auch an einer Geschichte im eigentlichen Sinne fehlt. Es ist eben das wahre Leben des Karl Ove Knausgard. Ob die Wahrheit als taugliche Geschichte für einen Roman ausreicht, ist und bleibt die Frage. Auch, ob sie generell nicht kritisierbar oder anzuzweifeln ist, eben weil es die Wahrheit ist. Ob jede Zuspitzung, Schleifarbeit oder Bearbeitung an sich, die dem Text eine etwas prägnantere Aussage oder Deutungsmöglichkeit gegeben hätte, generell Verrat am Stoff gewesen wäre. Der deutsche Romancier Ingo Schulze sagte einmal in etwa: Mit dem Anspruch: Aber genau so ist es gewesen! schreibe man nicht einmal ein taugliches Gedicht, geschweige denn: einen Roman. Vor diesem Problem stünden wir hier dann wohl.
Dennoch habe ich mich in diesem Mann wiedererkannt und mit ihm gelitten. Dass er keinen allumfassend gebildeten, analytischen Geist, sondern ein sozusagen romantisches Kind im Manne darstellt, sich nicht größer macht, als er ist, eben: ehrlich ist oder zumindest zu sein scheint, nimmt mich für diesen Autor ein, der noch dazu, wie schon erwähnt, über eine außerordentliche Wahrnehmungsgabe und Wiedergabefähigkeit verfügt.
Ihr seht, mein Eindruck ist zwiespältig und ich habe Kritikpunkte- allerdings habe ich dieses Buch mit knapp 600 Seiten in 2 Tagen gelesen, lesen müssen!, denn der Sog des Ganzen ließ mich nicht los. Allein das spricht für ihn, wenn auch oben ausgeführte Punkte mich an der ganz großen Qualität und Bedeutung, die von der Werbemaschinerie ausgerufen wird, etwas zweifeln lassen.
Aber eventuell habe ich auch Aspekte völlig überlesen und manches in den falschen Hals bekommen. Wenn ihr das anders seht- ich freue mich auf Eure Meinungen……………….