Ein Lyrikband.
Eine Sammlung von Gedichten: Möglichkeit, Blüten vergangener Jahre, einer Schaffensperiode oder eben: zu einem Thema zu versammeln und zu bündeln.
Das Gedicht kann und darf ALLES. Darf lang sein oder kurz. Vertrackt und voller Untiefen oder klar und spruchhaft. Man kann ein Gedicht in tage-, wochen,- jahrelanger Arbeit erweitern, verknappen; mit mehr und mehr Rätseln befüllen oder es vereinfachen, abspecken, verknappen. Das Gedicht und folglich auch der Band Gedichte kann und darf ALLES!
Es scheint mir eine neue Tendenz zu geben, diese Freiheit freiwillig zu beschneiden – Begrenzung schafft neue Reize.
Schon die Wahl eines Themas ist eine solche. Manchmal reicht es für einen Zyklus, manchmal für einen ganzen Band.
Aber auch die Mittel kann man begrenzen. Zum Beispiel, in dem man sich einen eigenen, eingeschränkten Wortschatz sucht: Fremdwörter z.B., Wikipedia-Artikel oder wie Herta Müller: die Worte eines Blattes aus einer Zeitung. Wasweißich!
Aber auch die Verfertigung eines Gedichts oder Bandes kann man unter Beschränkungen stellen. Zum Beispiel kann man sagen: Ich arbeite nur eine Woche (einen Monat oder oder) an diesem Text. Die unendlichen Varianten, Zwischenstufen und Möglichkeiten der Verfeinerung lasse ich aus.
Radikaler ist es da noch, wenn man sagt: Ich schreibe JEDEN Tag EIN Gedicht und lasse es stehen, wie es ist.
Das Spontane, Skizzenhafte als Ziel. Derartiges ist bereits dagewesen und z.B. Adrian Kassnitz verfolgt mit seinem Projekt Kalendarium diesen Ansatz gerade auf spannende Weise ebenfalls. Hier könnte man nun in einen Tagebuch-Modus verfallen und z.B. die eigene Befindlichkeit in den Fokus stellen. Der Vorwurf der unpolitischen Nabelschau wird der deutschen Lyrik ja immer mal wieder gemacht und eben erst beklagte Heike Kunert in ihrer ZEIT-Besprechung des dreißigsten Jahrbuches der Lyrik, dass sich so gut wie kein politisches, zumindest gesellschaftskritisches Gedicht im Jahrbuch findet. Was auch immer man sich darunter vorstellen mag!
Anke Glasmacher, deren Band: Brot und Spiele ich vor einiger Zeit schon besprach, hat aber für ihr „Jeden-Tag-ein-Gedicht- Buch eine Vorgehensweise gewählt, die von der angeblich langweiligen, Ich-bezogenen Arbeitsweise angeblich der meisten deutschen Lyriker abweicht. Zwanzig/vierzehn enthält für JEDEN Tag des Jahres 2014 EIN Gedicht. Aber Anke Glasmacher wählt noch eine weitere Beschränkung: Thema des täglichen Gedichts ist jeweils die erste Meldung der abendlichen Tagesschau. So fallen eine Menge Themen weg: Landschaft, Liebe, eigenes Ich können höchstens gefiltert durch die tagesaktuelle und weltpolitische Brille auftauchen.
Wir kennen die Schwerpunkte von Tagesschau-Meldungen, dennoch: dass es eine Art Kriegstagebuch werden würde, hat die Autorin, wie der Elif-Verlag in seiner Werbung für den Band richtig bemerkt, nicht ahnen können.
Kaum ein erbauliches Ereignis findet sich unter den Top-Meldungen des Jahres 2014, einzig der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft unterbricht vielleicht den Strom der Gefechte und Hiobsbotschaften.
Anke Glasmacher ist eine äußerst präzise Beobachterin: distanziert und in höchstem Masse zu Reflektion und klugen Übertragungen fähig. Dies lobte ich schon in ihrem vorigen Band. Wie dort sind die Gedichte in Zwanzig/vierzehn eher kurz, eher prägnant. Kryptische Metapherkaskaden und Bilderfluten sind Anke Glasmachers Sache nicht. Was auf den ersten Blick schlicht erscheinen mag, ist höchst durchdacht und individuell.
Man bedenke: für jeden Text standen höchstens 24 Stunden zur Verfügung und zahlreiche Themen wiederholten sich im genannten Jahr allzu oft auf beklemmend unschöne Art und Weise. Wie oft steht der „normale“ Tageschau-Seher sprachlos vor dem Gesehenen? Wie wenig Verlässliches wissen -bei aller Geschwätzigkeit- unsere „Experten“ zu Krim, Griechenland oder IS-Terror beizusteuern. Dies im Hinterkopf ist es höchst erstaunlich, welch breiten Rahmen an Formen und Ansätzen Anke Glasmacher in diesem Band findet.
Mal bleibt sie nah am Thema, mal wählt sie die Übertragung. Ihr sehr präziser, an der Kamera geschulter Blick lässt sie in Details und Sekundenaufnahmen aussagekräftige Wahrheiten finden. Sie hält Einzelheiten fest, die im Großen und Ganzen unterzugehen drohen, meidet jede Polemik oder Anklage- bleibt immer, zu was ihr schriftstellerischer Impuls sie bestimmt hat: Beobachterin, Individuum mit einem persönlichen Assoziationsrahmen. Sehr wohltuend.
Formal und thematisch gibt es einige überraschende Ansätze: Dezentes Spiel mit der konkreten Poesie, mit dem fabel- und märchenhaften und einige Sätze, die in ihrer Prägnanz zum weitverbreiteten Zitat werden müssten! Viele Gedichte in diesem Band sind nur wenige Worte und Zeilen lang. Sie verdanken dies einerseits der begrenzten Zeit, andererseits aber der Fähigkeit der Autorin, klar zu sehen– der Voraussetzung, um klar zu schreiben.
Zwanzig/vierzehn -ein Nachrichtenjahr- ist ein spannendes und äußerst gelungenes Experiment. Die Politik, die Ereignisse auf diesem Planeten, sind ein Feld der Sprachlosigkeit, der Logik und Analyse längst durch kaum erkennbare Zusammenhänge entzogen. Auch und gerade den Dichtern geht es so. In der Regel. Anke Glasmacher versucht, dies mit Mitteln der Poesie aufzubrechen. „Eine Zumutung“, schreibt der Verlag. Dies gilt ausdrücklich für die Autorin, deren Mut hier nicht genug zu loben ist- nicht für den Leser!
Anke Glasmacher
„Zwanzig/Vierzehn. Ein Nachrichtenjahr“
elifverlag, Nettetal 2015
228 Seiten, 14,95 Euro
ISBN: 978-3981614756
Anke Glasmacher, Jahrgang 1969, wuchs im Bergischen Land auf. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Bonn und Köln. Sie lebte 12 Jahre lang in Berlin im Prenzlauer Berg, wohnt und arbeitet heute aber wieder in Köln. 2013 gehörte sie zu den PreisträgerInnen des Lyrikwettbewerbs postpoetry.NRW. Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Literatur-Atelier Köln.