verstehen
ist ein prozess des auges
denke ich
und banne
das photo aus meiner feder
noch bevor die rechnung kommt
Dieses Gedicht, betitelt mit Café de Brasileira, scheint mir ein sehr treffender und beinahe programmatischer Text:
für das Buch Brot und Spiele–
und genauso für die Arbeitsweise seiner Autorin Anke Glasmacher!
Texte, die über das Auge funktionieren, dem Moment verpflichtet und somit nah an der Fotografie: einer analogen, oder sogar eher noch altertümlichen allerdings, bei der das Bild noch unter Anwendung gewisser Geheimkniffe und einer angemessenen Langsamkeit in eine empfindliche Oberfläche geprägt wird.
Anke Glasmachers Texte sind wohl überlegte Schnappschüsse, manche kenntnisreich doppelbelichtet und -fern von Landschaftsidyllen- urban, städtisch. Und: mit urban poems ist es auch unterbetitelt. Aber schon der eigentliche Name des Bandes weist in die richtige Richtung: Brot und Spiele: die Mittel, mit denen römische Herrscher ihr Volk und ihre Bürger leicht ruhig zu halten verstanden. So begegnet man den Menschen in Anke Glasmachers Gedichten auch maßgeblich unterwegs: von hier nach dort, ameisengleich umherwuselnd von einer schneller Nahrungsquelle zur nächsten, von der kleineren zur etwas größeren Attraktion. Transit-Volk: in Bars, in Cafés, auf Straßen- keine „Homestories“, wenig Home, wenig Heimat hier. Die Zigarette als immer wiederkehrendes und passendes Interims-Narkotikum zwischen zwei Zwischenstationen, denn schließlich ist sie ja aus lauschigen Innenräumen weitgehendst verbannt- wie auch der Kaffee sich heute im städtischen Raum zu einem Draußen-Phänomen entwickelt hat, als das er auch in diesem Band seine Rolle spielt.
rauch
geschwängert
die frau
nur luft
(„Bar“)
Die Nähe zur Fotografie ist also deutlich. Hier schaut ein genaues Auge und notiert Eindrücke von Vorübergehendem, Vorübergehenden: schlicht, lakonisch und beinahe haiku-haft vordergründig einfach. Die Texte sind kurz, prägnant, metaphernarm, aber ab und an lösen sich behutsam die gewohnten Perspektiven auf und fügen sich zu ungewohnten Sichtweisen und Zusammenhängen neu zusammen.
…
leise schüttelt
ein baum
die erlegten blätter
in den garten eden
alkohol rieselt
neben einem kinderwagen
in den hof
und aus den augen
ein alter mann
rastet
auf der bank
zu trancemusik
(aus: „Kiezkultur“)
Es sind Texte einer Autorin, die ebenfalls (ganz wie ihre Sujets) unterwegs ist, jedoch ohne jegliche Hast: eine unauffällige Durchreisende, die festhält, was sich im Trubel New Yorks, Berlins oder auch Kölns gerade so eben festhalten lässt.
Nur einige Gedichte, etwa die Mallorca-Texte, greifen etwas weiter aus, mit längeren Sätzen, mehrversig- ich kann nicht anders, als mir die Autorin hier zur Ruhe gekommen vorzustellen – an einem Tisch, am Strand sitzend und mit längeren Belichtungszeiten experimentierend.
….
langsam ergreift die stimmung auch
uns und wir
tauchen beschämt nach perlen
(aus: „Das Hütchenspiel“)
Der ganz offensichtlich sehr sorgfältig arbeitende Elif Verlag (was für ein schönes Buch, an sich, als Objekt!) hat seiner Autorin hier ein wunderbares Album für ihre lyrischen Schnappschüsse geschaffen. Brot und Spiele ist eine Reise in Bildern- zu Städten: zu Tode fotografiert und dennoch nie zur Gänze erfasst; zu toten Winkeln und blinden Flecken: nie eines Besuches für würdig befunden und: zu den Bewohnern dieser Städte, die vor lauter Brotangebot und Spielaufforderung beinahe nicht wissen, wohin sich als Nächstes wenden; die nicht sehen, was die Autorin sieht und dem Leser sichtbar macht, ohne es ins Monströse zu vergrößern oder bonbonbunt einfärben zu müssen.
Dies ist einer der Lyrikbände, die man noch oft mit der Gewissheit aufschlagen und durchblättern kann, darin etwas Neues zu finden. Einer derjenigen, bei dessen Wiederlektüre man über seine eigene, frühere Blindheit staunen kann- verstehen ist ein prozess des auges
Anke Glasmacher, Jahrgang 1969, wuchs im Bergischen Land auf. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten Bonn und Köln. Sie lebte 12 Jahre lang in Berlin im Prenzlauer Berg, wohnt und arbeitet heute aber wieder in Köln. 2013 gehörte sie zu den PreisträgerInnen des Lyrikwettbewerbs postpoetry.NRW. Sie ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und im Literatur-Atelier Köln.
Anke Glasmacher
„Brot und Spiele“, Urban Poems
Elifverlag, Nettetal 2014
ca. 112 Seiten, 14.95 Euro
ISBN: 978-3-9816147-6-3
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