-Schönheit, Freiheit, Harmonie- Gedanken zu Kunst & Kitsch

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Sebastian Schmidt machte sich aktuell in seinem Blog noch einmal Gedanken über die Lyrik und den Lieschen Müller-Stempel, den er nach unserem Interview für den lyrischen Mittwoch erfunden hat.

http://textbasis.wordpress.com/2013/07/07/poesie-das-ist-musik-3-gedichte-mit-herzblut-schreiben-ein-pla%C2%ADdo%C2%ADyer-fur-bewusste-wortwahl-im-gedicht/

Gibt es Worte, die ein Gedicht von vornherein disqualifizieren. Worte, die zu profan oder anderweitig „unlyrisch“ sind. In einer Zeit, in der man alles sagen kann und darf, in der verschiedene Epochen und Schulen den Wortschatz der Lyrik aus den unterschiedlichsten Feldern ergänzt und erweitert haben? Wir sprachen im Interview davon, dass heutige Lyriker bestimmte Begriffe zu scheuen scheinen wie der Teufel das Weihwasser. Ich erzählte ihm von vielen Kritiken (von anderen Lyrikern und Kennern), die ich erhielt, da ich gelegentlich gerne Herz und ähnliche Begriffe benutze. Andersherum wurde ich neulich (von einem Leser) kritisiert, da ich das Wort Krisengebiet in einem Gedicht auftauchen ließ, das sicher bei modernen Lyrikern kein Grund zum Anstoßnehmen gewesen wäre. Woher kommt diese Diskrepanz zwischen dem Empfinden derer, die Lyrik schreiben und denen, die Lyrik lesen? Gibt es eine Art „Geheimclub der modernen Dichter“, der weiß, was geht und was nicht und -auf der anderen Seite- den Leser, der nicht eingeweiht ist und deshalb sicherheitshalber zum Kanon der älteren Gedichte greift? Hier noch einmal ein paar Überlegungen, die -zugegebenermaßen- etwas weiter ausgreifen.

Es ist schon seltsam. Die Lieblingsgedichte der Deutschen.

 Wie jede Blüte welkt und jede JugendBild

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,

Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend

Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe

Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern

In andre, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,

Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Da blüht und welkt es metaphorisch, da waltet der Weltgeist.

Und: Weisheit, Tugend, Herz und Zauber– verdammt große Worte!

Könnte man das heute noch bringen?

Ein anderes Beispiel:Bild

Und meine Seele spannte

Weit ihre Flügel aus,

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.

Eichendorffs -Mondnacht- gehört ebenfalls zum ewigen Kanon. Da wird geküßt und geträumt und die Seele hat Flügel.

Heute noch machbar? Eher nicht, dennoch geliebt von den Lesern.

Selbst Erich Frieds lange lange danach entstandenes Gedicht –Was es ist- ist eine Betrachtung wert:

Es ist lächerlichErich_Fried
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

 Schmerz Stolz Liebe Angst Vernunft Erfahrung – Was für Worte. Kleiner hatte er es wohl nicht?

Ein schönes Gedicht, die Kitschgrenze ist aus heutiger Sicht allerdings nicht allzu fern und die Leute?- Lieben es!

 Ich staune, wie selten diese Worte in der heutigen Lyrik vorkommen. Warum ist das so?

Warum sind „große“ und „schöne“ Worte heute so in Verruf gekommen? Liegt es an der Erfahrung zweier Weltkriege (Frieds Gedicht entstand danach!), an der modernen Welt an sich, in der nichts mehr eindeutig ist? Liegt es an der Dialektik? Ist Karl Marx schuld, mit dem ollen Brecht als Handlanger?

Wo ist er hin? -Der Lyriker alten Schlages? Ist er in Verdun gefallen? In Stalingrad? Oder doch in Silicon Valley?

 Exkurs: Es gilt für alle Kunstformen. Könnte man heute noch ein altmeisterliches Landschaftsbild in Öl malen? – Man kann und es wird wahrscheinlich genauso oft getan wie klassisch gereimte Gedichte oder formvollendete Sonette geschrieben werden. Aber nimmt es noch Jemand als moderne Kunst wahr? Van Goghs Sonnenblumen oder Rembrandts Nachtwache heute? Nö, aber an Millionen von Wänden hängen sie dennoch und die Revolutionen sind wohl auch durch, wenn Kandinsky die Arztpraxen der Welt dominiert.

Die Abkehr vom Realismus in der Malerei hin zur Abstraktion und dem Expressiven ist ein alter Hut. Die Musik warf ihre Regeln und althergebrachten Harmonien auch schon vor über 100 Jahren über Bord. Die Lyriker wandten sich zunächst vom Reim ab und das auch schon um 1870. Der Reim, der mit seinem wohltuenden Gleichklang ein Element der Harmonie war. Ein Stück Schönheit verschwand zugunsten eines Stückes Verwirrung durch Dissonanz. Durchaus auch eine Bereicherung! Dada zerstörte die Syntax und proklamierte den reinen Klang im Lautgedicht. Dennoch blieb die Lyrik von der Lyra, der Musik herkommend, dem verwurzelt, kam ihm vielleicht sogar näher. Allerdings verschwand gleichzeitig diese wunderbare Synthese aus Inhalt und Form der Lyrik, die das Gedicht zum Einzigen in seiner originalen Form transportierbares Kunstwerk machte. Ein Gedicht konnte man durch den Rhythmus und den Reim leicht auswendig lernen und 1zu1 weitergeben. Niemand kann das mit einem Roman oder einem Theaterstück. Man kann die Handlung wiedergeben, aber den Wortlaut nicht. Das ging nur mit dem Gedicht.

Dennoch war die Abkehr von Reim, Harmonie, vom Erwarteten nützlich, denn eine Dissonanz kann prickelnder sein als ein Gleichklang; das Fehlen des Reimworts an einer Stelle, die danach schreit, interessanter als der Reim selbst.

Die Prise Salz im Schokoladenpudding.

Aber zurück zur Schönheit: Die Kunst und speziell die Lyrik erklärten uns einmal die Welt durch Abbildung, Übertragung und Verallgemeinerung. Mir scheint, sie tut es noch heute- doch mit veränderter Haltung. Da das Ganze (Faust) in seiner Vielfalt nicht mehr fassbar, durchschaubar und verstehbar ist, richtet sich heut der Blick der Lyriker auf Biotope, Bildauschnitte und Fachbereiche. Außerdem fehlt ein wichtiger Bezugspunkt fast zur Gänze. Das christliche Weltbild, das viele Jahrhunderte die Kunst und Künstler auf gewisse Weise zusammenhielt, ist gewichen und an seine Stelle trat….? Was?weimar_Denkmal_weimar_GmbH_Maik_Schuck

Man kann jetzt sagen, dass es eine Abkehr vom Christentum auch schon früher gab und das ist richtig. In gewissen Strömungen der Romantik, die andersherum auch wieder extrem katholisch ist; bei Goethe. Aber z.B. beim Geheimen Rat in Weimar gab es stattdessen die Antike, das Hehre, Klassische, in manchen Texten der Romantik ein verklärtes Heidentum.

Über die längste Zeit jedoch waren die Begriffe und Fragestellungen der Theologie und der Philosophie das Rüstzeug auch der Lyriker- heute hat eher der nüchterne Ansatz des Wissenschaftlers und der analytische Blick des Fotografen Einzug gehalten. Das Kleine wird durchleuchtet, da das Große nicht mehr greifbar scheint. Keine Utopien, Allegorien finden mehr statt, dafür Diagnosen und Fallberichte.

Neben dem Fehlen des Hehren und der Utopien scheint mir noch etwas die Arbeit der Kunst zu erschweren: das Fehlen der Tabus, die auch zum großen Teil aus der Religion herrührten.Hermann+Nitsch

Was ist denn als Provokation in der Kunst überhaupt noch möglich? Jesus, Buddha, die Mutter Maria sind längst als Bildmaterial in die Werkzeugkiste der Gegenwart eingegangen. Blut, Sex und Tod reißen niemanden mehr vom Hocker. Einen ähnlichen Eklat wie die Mohammed-Karikaturen in der islamischen dürfte wohl kaum ein Motiv in der westlichen Welt hervorrufen. In Wien schmiert Herrmann Nitsch seit Jahrzehnten mit seinen Kubiklitern Schweineblut auf Leinwänden und Frauenkörpern herum- mehr als ein paar Omis und CSU-Politiker wird er damit wohl eher nicht mehr provozieren. Es wurde schon im Fluxus der 70er Künstlerkot in Dosen abgefüllt und Eigensperma auf Metallplatten gab es auch schon. Wenn eine Band heute Hotelzimmer zertrümmert, wirkt das fast schon nostalgisch. Die logische Folge und damit der eigentlich provozierendste Gegenwartskünstler wäre damit in gewissem Sinne Jeff Koons mit seinen überdimensionierten Kitschobjekten in Rosa und Pastell. Kitsch scheint an die Stelle der alten Tabus getreten zu sein. jeff koons

Der Kunst ihre Freiheit! -Natürlich: die Kunst ist frei. Nach DADA, Duchamp, Beuys, Ulysses, Arno Schmidt und John Cage geht alles. Gottfried Benn (auch schon wieder Kanon) ergänzte den lyrischen Fundus um die Fachsprache und englische Mode-Begriffe; Celan und die hermitsche Lyrik erfanden zum Teil wunderschöne und verwirrende Metaphern aus unterschiedlichsten Sprachfeldern, Rolf Dieter Brinkmann fügte Werbung und Songtext-Schnipsel hinzu….

Es gibt kein Diktat der Regeln mehr. In der Thematik: Man kann über alles schreiben: Tankstutzen, Kartoffelschälmesser und gleichgeschlechtliche Liebe. Auch in der Form: man kann lange und kurze Texte schreiben; mit oder ohne Reim, ganz ohne Struktur, man kann Fremdtexte einbeziehen oder nicht; man kann Seiten zerschneiden und neu zusammensetzen, lautmalerisch arbeiten. Keine Regeln, kein Diktat! Nicht? In gewisser Weise sind wir doch diktiert. Von der als unerlässlich angesehenen Notwendigkeit der Distanz und der Ironie. Man kann noch klassische Sonette schreiben- aber bitte mit einem ironischen Clou; man kann noch reimen -aber bitte postmodern, mit einem spielerischen Kniff. Van Goghs Sonnenblumen kann man gern zitieren -in Collagen, vermischt mit Werbeplakaten oder BILD-Schlagzeilen.

 Es scheint eine Angst vor dem Harmonischen vorzuherrschen, vielleicht die Furcht vor dem Totschlagargument: Kitsch. Eichendorffs Seele, Hesses Zauber und Frieds Einsicht und Vernunft halten eben diesem neuen Blick nicht stand und erweisen sich bei festerem Zufassen als zu weich und wechselhaft in ihrer Gestalt. Was bleibt dann als Material? Das Verfallene, Schmutzige, Kaputte und natürlich ist unsere Welt verfallen, schmutzig und kaputt -in vielerlei Hinsicht. Das Wort Regenbogen z.B. würde in einem literarischen Text heute wohl prompt ein Naserümpfen provozieren, während die Worte Fixerspritze und Hundekot als beißender Realismus gelobt würden. (Ich muss dazu sagen, dass ich persönlich in meinem westfälischen Kaff wesentlich öfter Regenbögen sehe als Fixerspritzen, Hundekot sei jetzt mal dahingestellt)

 Ist es, weil das Hehre, Saubere und Schöne einem anderen Feld des täglichen Lebens überlassen worden ist, das als profan angesehen wird. Ist es die Abgrenzung der Literatur und der Kunst allgemein gegenüber dem Fernsehen und der Werbung? Dort gibt es noch all diese Dinge: tiefe Liebe über Grenzen und Hindernisse, unberührte Landschaften und perfekte Familien. Dort gibt es noch einfache Wahrheiten und diese Medien leben genau davon. Ironie oder Distanz findet man dort eher selten. Ein Produkt muss ohne kritisches Hinterfragen dargestellt werden. Die große Pilcher-Liebe darf nicht ironisiert werden. Sonst funktioniert es nicht. Erstaunlich, dass diese Formate von ungleich mehr Menschen konsumiert werden und oft zum Fixpunkt des eigenen Lebens werden als moderne Literatur. Wie viele Menschen orientieren sich in Auftreten und Lebenszielen an Schauspielern oder den Serienfiguren, die sie verkörpern?

pilcher

Wie viele Film- oder Werbesprüche sind in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen? Ich möchte die Kunst nicht ermuntern, es diesen Medien gleichzutun! Doch eine scheinbar recht weitverbreitete Sehnsucht nach SEELE ZAUBER und TRAUM scheint nicht wegzudiskutieren zu sein.

9 Kommentare

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9 Antworten zu “-Schönheit, Freiheit, Harmonie- Gedanken zu Kunst & Kitsch

  1. Hat dies auf textbasis.blog rebloggt und kommentierte:
    Matthias Engels (Teilnehmer der vierzehnten Folge des lyrischen Mittwochs) hat das Thema „Wortwahl in der Lyrik“ auf seinem Blog erneut aufgegriffen und die Taschenlampe ausgepackt. Er durchleuchtet anhand zahlreicher Beispiele, was sich in der Poesie verändert hat und wo sie angekommen ist. Bestandsaufnahme: „Allegorien finden nicht mehr statt, dafür Diagnosen und Fallberichte.“
    Durchdacht, nachvollziehbar, leichtfüßig – unbedingt lesen.

  2. Spannend! Ich bin diesem Exkurs durch die Kunstgeschichte gern gefolgt – mache ich mir doch zu diesem Thema auch viele Gedanken.
    Einiges hast du hier so schön treffend zusammengefügt und erkannt; und insgesamt gefällt es mir gut, wenn jemand literaturschaffendes auch dazu noch reflektieren will und kann.
    Gerade der Kitsch ist so ein interessantes Thema, dass man eine ganze Abhandlung allein darüber bräuchte – denn damit, dass die Welt ihn irgendwie zu brauchen scheint, hast du ja recht, in immer neuen Formen: Ganz aktuell sichtbar in der Twilight-Welle. Ich habe auch hineingelesen, aus reiner Neugier, was eine ganze lesefremde Generation zum massenweise Lesen bringt. Und da fand ich es, wie du es beschreibst: Die ganz große Liebe, die ganz echten Gefühle, bar jeder Ironie. Man mag es augenrollend konsumieren, aber akzeptieren, dass gerade junge Mädchen diese Art von Literatur dringend wollen. (Und vielleicht sogar brauchen?)
    Und auch in der Malerei, (schön dass du auch auf dieses Medium eingehst), gibt es gerade in neuerer Zeit die Beschäftigung junger (anerkannter) Künstler mit dieser Thematik: Die Grenze zwischen Ästhetik und Kitsch. Oder sogar Provokation durch Schönheit?
    Als Beispiel, falls es dich interssiert: Martin Eder. http://www.martineder.com/martin_eder_paintings2004.html
    Und einem Statement stimme ich voll und ganz zu: Nämlich dass man in einer Zeit, in der man künstlerisch alles darf und alles kann, der einen Regel unterliegt: Bitte alles mit einer gewissen ironischen Distanz.

    • Verehrte Miss Hava,

      vielen Dank für deinen Kommentar. Schön, dass du da mitgehen kannst.Zum Teil ist es natürlich das alte E & U und high-brow/low-brow-Problem. Finde diese Schubladen teils erschreckend, obwohl ich sonst ein großer Freund von Stauraum mit Sichtschutz bin. Kitsch ist ja bis heute undefiniert und liegt irgendwo im Auge des Betrachters. (Und Kunst auch!) Grenzen sind dort wie überall äußerst interessant und ein spielerischer Umgang damit wohl am ehesten die Lösung, damit umzugehen.
      Schönen Dank für den angenehmen Austausch! Bis bald

  3. Da hast Du in der Tat vieles gesagt, was ich voll und ganz unterstreichen kann. Allerdings spüre ich in Deinem Text auch wieder nur – wie in so vielen zeitgemäßen Abhandlungen – den Zwiespalt und die Unfreiheit des modernen Menschen, dem es in erster Linie auch immer nur darum zu gehen scheint, am Puls der Zeit zu agieren, denn warum sonst würde er sich mit derlei Themen überhaupt immer wieder so intensiv auseinandersetzen.
    Die Kunst ist doch frei, oder? Wie auch die Gefühle, die Gedanken frei sind! Also, warum schreibt Ihr modernen Menschen denn nicht einfach ein Gedicht à la Eichendorff, wenn Ihr’s denn so schön findet und es, so talentiert wie Ihr doch seid, auch in der Art schreiben könntet? Euch ist offensichtlich Außenwirkung doch wichtiger als alles andere. Oder vielleicht wollt Ihr Euch damit auch nur lediglich einreden, dass es schön ist, weil es schließlich schön sein muss, denn es ist ja vom großen Eichendorff, nicht!
    Wie dem auch sei, ich hab mir – und mein Mann übrigens auch – noch nie groß Gedanken darüber gemacht, wie Lyrik heutzutage überhaupt geschrieben werden sollte. Allenfalls darüber, ob das in Versen Gesagte auch von einem anderen Menschen überhaupt nachvollzogen werden kann. Aber auch hier mach ich mir – ehrlich gesagt – nicht übermäßig viel Gedanken, da ich innerlich überhaupt nicht zwiespältig und verwirrt bin und das Geschrieben demzufolge ebenso in einer gewissen Klarheit formuliert ist. Also abschließend: ich bin „nur“ auf Harmonie bedacht und ohne Disharmonie und Spaltung und es ist mir im Endeffekt egal, ob es ankommt oder nicht, ob es einmal in einem Gedichtband veröffentlicht wird oder nicht. Es dient lediglich der eigenen geistig-seelischen Erbauung und gehorcht nur der eigenen Vorstellung von Schönheit.
    Und ich habe mit dieser Haltung bisher nicht so schlecht gelebt.

    Herzlicher Gruß von Constanze

    • Hallo Constanze und vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar. Es sind ein paar sehr wichtige Dinge darin, die- und GENAU die- ich ausdrücken wollte!
      Die Freiheit der Kunst ist relativ, wenn man sich von dem Begriff Modernität und der Angst vor dem Kitsch diktieren lässt! Du hast es genau verstanden: das FREIHEIT in der Überschrift des Artikels ist relativ.
      Ja, Außenwirkung ist ein Thema bei Autoren und Künstlern an sich, schlichtweg, weil sie für das Außen arbeiten, auf eine Rezeption ihres Werkes angewiesen sind.
      -Wenn du sagst, dir ist egal, ob deine Texte je veröffentlicht werden, ist das gut und beneidenswert. Ich schrieb es in einem vorigen Artikel: -Gedanken über das Schreiben II-, der auch hier zu finden ist: „Glücklich die, die sagen, sie schreiben nur für sich selbst“ Mit dem Schritt zur Öffentlichkeit, zur angestrebten Professionalität ist das vorbei.Denn dann kommen all die Herren mit ihren Schubladen und Messlatten und checken deine Sachen ab!
      Wir liegen genau auf einer Wellenlänge, größtenteils, denn mein Artikel kritisiert genau dieses elitäre Denken und die ewige Angst, auch einmal einen Reim aus vermeindlich „altmodischen“ Worten zu basteln. Ich zähle mich auch nicht unbedingt zur ganz modernen Fraktion, mir geht es um eine ausgewogene Mischung. Meine Texte sollen nicht nach Eichendorff klingen, aber auch nicht so unverständlich daherkommen wie chinesisch -nur um der Modernität Willen.

      Deine Auseinadersetzung mit meinem Artikel freut mich, denn genau dazu sollte er anregen. Vielen Dank also nochmal und bis bald vielleicht.

      • Professionalität? Sagte Schopenhauer nicht einmal in der Art „Gedichte sind Sache für den Feiertag“ oder so ähnlich? Wer konnte denn bisher jemals vom Schreiben und Veröffentlichen seiner Lyrik leben! Und weil dies so ist, kann man sich doch gerade auf diesem Feld getrost in Freiheit ausleben, nicht!? Diese enge Schiene des Auftragsschreibens kenne ich gar zu gut vom Journalismus her, umso schöner ist dieses poetische Formulieren, welches ich auf gar keinen Fall mit dem Vorhergehenden in einen Topf werfen möchte. Wenn man damit irgendwann Erfolg haben sollte, dann ist es wunderbar. Ich würde es aber meines Erachtens keinesfalls verbissen zu meinem Credo machen. Hier habe ich leider auch nur wieder das Gefühl, es geht Dir letzten Endes mehr darum, bekannt (oder gar berühmt?) zu werden. Sollte dies so sein, so ist der Preis dafür hoch, denn Du beraubst Dich damit einer der letzten freien Bastionen Deiner Persönlichkeit!

        Herzlichst Constanze

      • Dass Lyrik brotlos ist, steht auf einem anderen Blatt und in meinem Blog in ganz vielen anderen Artikeln. Goethe hatte seine Geheimrats-Einnahmen und schrieb für das Hoftheater kleine Stückchen, Rilke hatte seine gutbetuchten Damen und heute schreiben fast alle Lyriker nebenher noch irgendetwas anderes: Kritiken, Essays oder (ich kenne da einen) die Kommentare für das „Perfekte Dinner“ im Fernsehen.
        Darum ging es ja auch gar nicht.
        Der Künstler (und der Dichter speziell) ist einer der Berufe, bei dem es am wenigsten selbstverständlich ist, dass man von dem, was man liebt, was man gut kann, auch leben kann. Der Journalist liebt vielleicht das Schreiben und verdient sein Geld damit. Der Bäcker, der Metzger, der Lehrer: bei all diesen Berufen (das kommt von BERUFUNG!) würde man nie sagen:“Ja, gut und schön. Du schlachtest gern, aber du brauchst schon auch noch einen anderen Beruf!“
        Aber eigentlich ging es mir um die merkwürdige Diskrepanz zwischen dem bisschen Lyrik, das gelesen wird (Klassiker, ein wenig humorig a la Gernhardt, vielleicht noch Fried oder Domin) und dem, was heute geschrieben wird. Dem, was der Leser offenbar in der Lyrik will (Emotion/Verständlichkeit/Klang) und dem, was er bekommt.
        Keiner soll mich falsch verstehen: Ein Zurück zum Reim, zu Eichendorf und Goethe kann es nicht sein. Wir brauchen Inovation und neue Ansätze -aber nicht für eine kleine elitäre Leserschaft und dann so verkopft und dem Kitschfilter auf höchster Stufe.
        Das Zwischending eben.

        Du sprichst in deinen Kommentaren immer von mir. Ich habe selbst gar kein Problem damit, dass meine Lyrik weder modern, noch erfolgreich ist. Wenn die ein oder andere Veröffentlichung sich einstellt, freue ich mich, aber dass ich meine Familie nicht damit ernähren kann, war schon immer klar.
        Ich bin ja auch noch berufstätig und schreibe andere, publikumsnähere Sachen.
        Ich habe mir nur so meine Gedanken über das gemacht, was ich täglich im Literaturbetrieb erlebe.

        Schönen Gruß

  4. Die Publikumsdiskrepanz zwischen den Werken, die der zeitgenössischen U- und E-Literatur zugeordnet werden (die Schubladen sind zwar als soche recht „eckig“, treffen aber das Phänomen der sehr unterschiedlichen Machart und Stilistik der in ihnen entsprechend verorteten Werke sehr gut; und auch nach den vorhergehenden Kommentaren scheint es so zu sein, dass man als Autor wahrscheinlich – ich habe da keine Eigenerfahrung – die Produktion in Publikumsnähe sehr bewußt bewältigt und für alles andere die eigene Schreibtischschulblade als Residenzort in Kauf nimmt) ist schon sehr auffälliges. Aus historischer Sicht läßt sich sagen, dass es den Gegensatz zwischen publikumsgängigem Kitsch und avancierter Wenige-Leute-Kunst wahrscheinlich schon immer gegeben hat, aber Kitsch auch in der Weltliteratur vorkommt (so gibt es wirklich käsige telenovela-artige Liebesromane aus dem Hellenismus, aber eben auch den nicht minder kitschigen Penthesilea-Stoff, der es aus dem der Hochkunst zugerechneten Epos schließlich auch bis zu Kleist geschafft hat), aber auch Schattierungen dazwischen existieren. (Man sollte sich warscheinlich nur nicht von Lippenbekenntnissen zu Klassikern täuschen lassen – es haben sie immer weniger Leute gelesen als behauptet. Wobei ich mir als bildungstechnischer Idealist die Annahme nicht ganz versagen kann, dass wirkliche Kenntnis der Klassiker, die eben in Schule und Studium vermittelt werden kann, durchaus den Geschmack zu schulen in der Lage ist, und die Kitschaffinität etwas vermindern könnte.)
    Aber diese Debatte um „zulässige“ Mittel in der zeitgenössischen Kunst (wobei ihr doch nach allgemeinem Einvernehmen mittlerweile „alles erlaubt“ sein sollte, da keine Regeln mehr gelten), ist ein sehr seltsame Erscheinung und beschäftigt mich auch eine ganze Weile. Für die zeitgenössische Musik lässt sich eine genaue Parallele konstatieren. Obwohl eben alles zulässig sein sollte, ist doch eine Stilistik eminent stark unterrepräsentiert: die harmonisch gebundene Satzweise (es scheint jedoch bei den ganz arrivierten Komponisten momentan eine Renaissance zu geben). Offensichtlich existiert auch dort ein Embargo über alles, was „gefällig“ und „eingängig“ klingt, also auch relativ unreflektiert Zugang zu sich selbst eröffnet. In den Posien der Kompositionsklassen kommen auch so gut wie keine Stücke in dieser „konventionellen“ Machart zur Aufführung, wobei damit ja die Atonalität zur neuen, stillschweigend anerkannten Konvention geworden ist. (Die meisten Podien sind auch nur spärlich von einem immer gleichen Kreis von Spezialisten besucht und klingen recht spröde, so wie man es nach dem Klischee von zietgenössischer Musik erwarten würde.) Ich habe das mal mit einem Kommilitonen diskutiert, den ich aus Studienzeiten noch kenne, und der selbst als Komponist unterwegs ist, aber jenseits der Aussage, dass man harmonisch schreiben könnte, wenn man es denn wollte, war dem Ganzen nicht beizukommen. Demgemäß wäre hier sogar eine Doppelsegmentierung von „vorgeschriebenen“ Kunstmitteln: man kann für den Broterwerb marktgängige harmonisch konventionelle Gebrauchsmusik schreiben, oder aber man muss sich, um als seriöser zeitgenössischer Komponist anerkannt zu werden, doch dem Diktat der atonalen Kompositionsweise unterwerfen.
    Der zweite Punkt, der in meinen Augen ein starkes Argument für die Abweichung von der (gefälligen, zugänglichen) Form ist, findet sich in Adornos in den „Parva Ästhetica“ geäußerten Anschauungen (da zwar auf die Musik bezogen, aber für die anderen Künste ebenso gültig) zum „Fortschritt des musikalischen Materials“. In Kürze ist es, dass der Künstler volle Verantwortung für sein Werk übernehmen muss, daher auch jede Entscheidung in der Entstehung seines Werkes selbst getroffen haben muss, und daher regredierende Rückgriffe auf von der Tradition/Konvention vorgegebene Formmuster vermeiden sollte. Adorno sieht das Ganze natürlich auch aus einer stark ideologiekritischen Sicht, in der er der Kunst gewissermaßen den moralischen Imperativ stellt, sich nicht der gesellschaftlichen Zurichtung des Einzelnen in den Dienst zu stellen, aber er bezahlt natürlich diesen Vorzug mit der Zugänglichkeit der so entstehenden Kunst. Denn wenn man erst mehrere Runden reflektieren muss, bis sich einem ein Kunstwerk erschließt, ist es klar, dass solche Kunstwerke nur kleinen Kreisen zugänglich bleiben.
    (Meines Erachtens ist aber diese Dichotomie überwindbar: es gibt durchaus Werke, die sowohl relativ schnell einen Zugang ermöglichen, als auch nach wiederholtem Nachdenken immer neue Schichten ihrer kunstvollen und tief durchdachten Konstruktion offenbaren.)

    • Hallo Nebelmade und vielen Dank für deinen klugen und ausführlichen Kommentar. Ich finde auch, wie du abschließend sagst, dass das Anzustrebende vielleicht die Mitte ist -das eingängige, aber durchaus mehrschichtige Zwischending. Wohin diese merkwürdige Diskussion praktisch gehen wird, ist unklar. Du hast Recht: es war schon alles da. Wohin soll man die Mittel und Wege der Kunst noch erweitern? Seit mindestens 100 Jahren sind alle Avantgarden mit der Erschließung neuer Mittel und Formen beschäftigt -was bleibt uns übrig? Vielleicht ein virtuoses Spiel mit Versatzstücken und Zitaten?-Wird schon gemacht. Vielleicht die bewußte Rückwendung zum Klassischen, mit einer ironischen Haltung versetzt?-Wird schon gemacht.
      Ich kann mir durchaus vorstellen, dass das Spiel mit den technischen Möglichkeiten und den verschiedenen neuen Blickwinkeln des Internet-Zeitalters (Texte per Zufallsgenerator und virtuelle Mehrfach- Autorenschaft in Foren etc.) die nächste Mode sein wird und auch schon irgendwie ist. Danach wird es wohl eine Rückwendung zum Handgemachten geben. Wie immer. Der bewußte Flirt mit dem Kitsch findet auch schon statt. (Jeff Koons) Ich bin gespannt, wie sich alles entwickelt. Die Diskrepanz zwischen dem durchaus harmoniebedürftigen Konsumenten und den ultra-modernen Produzenten, die das Eingängige fürchten wie der Teufel das Weihwasser, wird wohl bleiben, obwohl die Definitionen sich hier und da mit der Zeit verschieben dürften. Mal sehen. Vielen Dank auf jeden Fall für dein Interesse!

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